Vom Fehlstart zum „Fehlstaat“ – Werner Zinkls Gastkommentar in der Wiener Zeitung

Beinahe täglich berichten die Medien über Angriffe auf die Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn, Polen und der Türkei. Wir kritisieren diese Entwicklungen auf das Heftigste, übersehen dabei aber, dass auch in Österreich höchstgerichtliche Entscheidungen - nicht nur in der Vergangenheit - missachtet werden. Auch das muss bereits als Angriff auf den Rechtsstaat gesehen werden!

Österreich wurde erstmals im Jahr 2009 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen diskriminierender Regelungen im Gehaltssystem der öffentlich Bediensteten verurteilt. Die Republik wurde verpflichtet, die unmittelbar auf dem Alter basierende Festsetzung des Vorrückungsstichtages, der für die besoldungsrechtliche Einstufung maßgeblich war, zu beseitigen. Ausgangsbasis für dieses Urteil war ein von einem Betroffenen geführtes Verfahren, in dem es um die Nachzahlung von Gehaltsansprüchen ging. Vor dem 18. Lebensjahr entstandene Dienstzeiten waren im Anlassfall nicht entsprechend berücksichtigt worden. Das daraufhin im Jahr 2010 angepasste Gesetz wurde vom EuGH 2014 neuerlich als nicht europarechtskonform eingeordnet. Zur Beruhigung der öffentlich Bediensteten gab die Bundesregierung in der Folge zwar einen Verjährungsverzicht ab, versuchte aber im Jänner 2015 überfallsartig und ohne jegliche Begutachtung eine Neuregelung durchzupeitschen, die zu erheblichen Einkommensverlusten geführt hätte, welche bei den Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten aufgrund besoldungsrechtlicher Besonderheiten besonders stark ausgefallen wären. Den Verjährungsverzicht, der die betroffenen Bediensteten noch auf eine vernünftige Lösung hoffen ließ, nahmen die Verantwortlichen wieder zurück.

Nur massive Proteste der Richtervereinigung mit Unterstützung der GÖD haben die Bundesregierung in der Folge veranlasst, diese nachteiligen und immer noch diskriminierenden Regelungen soweit anzupassen, dass zwar die Gehaltseinbußen entsprechend reduziert wurden, die altersabhängige Ungleichbehandlung aber entgegen aller Warnungen bestehen blieb. Im Gegenteil hat man versucht, die Altersdiskriminierung aufrecht zu halten und mit Hilfe einer fragwürdigen Parallelverschiebung zu tarnen.

Diesen Umstand hat mittlerweile auch der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in seinem jüngst gefassten Erkenntnis Ro 2015/12/0025-3 klar und unmissverständlich bestätigt und ausgesprochen, dass auch die derzeit bestehende Regelung europarechtlich zugesprochene Ansprüche von Bediensteten missachtet und damit auch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts ignoriert.

Anstatt sich endlich ordentlich der Aufgabe zu widmen und eine entsprechende Anpassung der Anrechnungsbestimmungen vorzunehmen, setzt die Bundesregierung beharrlich den auf völlig falschen Ansätzen gestützten Weg fort. Der aktuelle Entwurf im Ministerratsvortrag vom 11.10.2016 stellt erneut einen massiven Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit dar. Zum nunmehr dritten Mal wird versucht, in einer legistisch äußerst fragwürdigen Vorgangsweise bereits höchstgerichtlich zuerkannte Rechtansprüche zu ignorieren und diese – dem europarechtlichen Effektivitätsgebot zum Trotz – sogar rückwirkend zu beseitigen. Entgegen dem Gebot der Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie werden öffentlich Bedienstete durch die Vorrückungsbestimmungen aufgrund ihres Alters diskriminiert, was jedenfalls spätestens seit der Entscheidung des EuGH im Jahr 2009 als vorsätzliche Herstellung eines rechtwidrigen Zustands gesehen werden muss.

Ohne sich auch nur einmal kurz darüber Gedanken zu machen, ob es nicht auch eine sachgerechte und auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit gestaltete Lösung gibt, wird den Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst reflexartig ein legitimer Anspruch abgesprochen, obwohl es eine wahre Bandbreite an verfassungs- und europarechtlich sauberen Gestaltungsmöglichkeiten gebe – man muss sie nur wollen. Vor allem sollte man sich nicht sehenden Auges der Peinlichkeit aussetzen, ein viertes Mal zurück an den Start versetzt zu werden.


Dieser Beitrag ist als Gastkommentar in der Online Ausgabe der Wiener Zeitung am 4. November 2016 erschienen:

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Veröffentlicht am: 4. Nov. 2016

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