Türkische Justiz auf Irrwegen
Diese seit Monaten vonseiten der Machthaber gegen die türkischen Richterinnen und Richter geführten Maßnahmen (Massive Beeinflussung der Wahl und der Tätigkeit des Hohen Rates für Richter und Staatsanwälte durch die Regierung, Versetzung von Richterinnen und Richter gegen ihren Willen unter Missachtung der rechtlichen Voraussetzungen, Einleitung von Disziplinarverfahren und Strafverfahren wegen gerichtlicher Entscheidungen etc.), welche offensichtlich darauf abzielen, eine unabhängige Justiz auszuhöhlen, haben durch den Putschversuch, welcher selbstverständlich mit aller Deutlichkeit abzulehnen ist, eine enorme Beschleunigung erfahren. Höhepunkt ist nunmehr die Entscheidung dieses Hohen Rates für Richter und Staatsanwälte, mit der mehr als 2.000 Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte entlassen werden.
Die türkische Regierung hat angekündigt, den Rechtsstaat so rasch als möglich wieder herzustellen und rechtsstaatliche Verfahren vor unabhängigen Gerichten sicherzustellen. Mit der gegenständlichen Entscheidung zeichnet sich jedoch eine gegenteilige Entwicklung ab. Die 62-seitige Entscheidung beschreibt sehr allgemein das Putschgeschehen, ohne allerdings den konkreten Tatbeitrag der von der Entscheidung Betroffenen herzustellen und zu bescheinigen. Es folgt eine Abhandlung über das Entstehen und die Strukturen des Netzwerkes des ehemals mit Erdogan verbündeten Predigers Fethulla Gülen. Einige diesem Netzwerk angelasteten Straftaten werden angeführt. Aber wiederum wird kein konkreter Zusammenhang mit den einzelnen Personen hergestellt, die von der Entscheidung betroffen sind. Es wird lediglich angeführt, dass durch verschiedene Beweismittel, wie Aussagen, Dokumente und Videos eine Überschneidung (Kreuzung „iltisak“) mit Personen besteht, die dem Netzwerk angehören sollen, also offenbar, wer irgendeinmal irgendeinen Kontakt mit einer solchen Person hatte, ist von der Entscheidung betroffen. Diese Vorgangsweise ist auch aus Verfahren vor dem Putsch hinlänglich bekannt. Die Vereinigung der österreichische Richterinnen und Richter hält es für ungeheuerlich, auf dieser Basis eine so weitreichende Entscheidung zu fällen, dass Richterinnen und Richter ihr Amt verlieren.
Leider hat sich die Europäische Politik zu diesem Urteil überhaupt noch nicht geäußert. Die Richtervereinigungen der nordischen Staaten haben daher die Politiker Europas und ihrer Länder eindringlich aufgefordert, auf die Türkei einzuwirken, dass diese wieder zu rechtstaatlichen Verfahren zurückkehrt. Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter schließt sich dieser Forderung an.