Strukturelle Defizite
Immer wieder ist es der Anschein, der Besorgnis aufkommen lässt. In Besetzungsverfahren erfolgen Interventionen und Zurufe, als ob dies eine Chance auf Beeinflussung der Ernennungen haben könnte, Personalumschichtungen werden mit dem Verdacht versehen, man wolle Einflüsse bestimmter externer Kräfte bewirken. Verunsicherung greift um sich, welche sich weder die Justiz noch deren Mitarbeiter verdient haben. Verdächtig wird unvermeidbar und vielfach auch zu Unrecht der Justizminister. Schuld für diesen verdachtsauslösenden Anschein sind nicht zuletzt die vorhandenen Strukturen.
In nur wenigen europäischen Ländern ist der Grundsatz der Gewaltenteilung so unvollständig durchgeführt wie in Österreich und Deutschland. Ohne Zweifel können Richterinnen und Richter ihre Fälle unabhängig und unbeeinflusst entscheiden. Aber die strukturelle Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit lässt zu wünschen übrig. Die gesamte Justizverwaltung wird wesentlich durch den Bundesminister – also einem Mitglied der Exekutive – bestimmt. Die Ressourcenabhängigkeit ist groß. Bei der dem Staatsoberhaupt anvertrauten Ernennung von Richterinnen und Richtern kommt der Regierung eine entscheidende Rolle zu, auch übereinstimmende Vorschläge der auf der Verfassung beruhenden richterlichen Gremien sind nicht bindend. Das alles wird hingenommen, weil dank der hohen Qualität und des pflichtbewussten Einsatzes der Richterinnen und Richter die österreichische Justiz trotz dieser strukturellen Defizite hervorragend funktioniert und die Politik bisher nur zurückhaltend von ihren Einflussmöglichkeiten Gebrauch gemacht hat. Das muss aber nicht so bleiben und einige Anzeichen könnten als Versuch der Exekutive, ihren Einfluss auszudehnen, interpretiert werden. Das Klammern der Politik am Weisungsrecht des Justizministers gegenüber den Staatsanwälten, die offenen Zurufe verschiedener Lobbyisten, insbesondere aber von Regional- und Lokalpolitikern an den Justizminister mit dem Ziel, Besetzungsverfahren zu beeinflussen, die Knebelung des Personal- und Ressourceneinsatzes durch zentrale im Bundeskanzleramt ausgetüftelte Vorschriften, die die Besonderheiten der Justiz ignorieren, wozu auch die Besonderheiten der Justizverwaltung zählen, sowie ständige Umstrukturierungen, die durch die damit ausgelösten Unsicherheiten und die damit einhergehenden personellen Veränderungen keinesfalls nur positive Effekte haben, sollten eine Warnung sein.
Von einem Rat der Gerichtsbarkeit, wie europaweit üblich, will die Politik nichts wissen. Das dadurch bestehende Defizit wird durch zwei wesentliche Einrichtungen gemildert. Zum einen sind auf der Ebene der Gerichte Personalsenate in karriererelevante Entscheidungen die Richterinnen und Richter betreffend eingebunden, die auf Grund ihrer Zusammensetzung gegen äußere, insbesondere politische Einflüsse immunisiert sind. Zumindest diesem Vorbild sollten auch die Staatsanwaltschaften und das Bundesministerium für Justiz folgen, auch dort sollten Personalsenate geschaffen werden. Das zweite wesentliche Korrektiv liegt darin, dass im Bundesministerium für Justiz bisher Ernennungs- bzw. Zuteilungserfordernis war, dass Kolleginnen und Kollegen mit diesen Aufgaben betraut wurden, die die Richteramtsprüfung abgelegt hatten und als Richterinnen oder Richter, Staatsanwältinnen oder Staatsanwälten tätig waren. Ein aus der Praxis geborenes Verständnis der Unabhängigkeit und der sie absichernden Erfordernisse vermag die durch den Einfluss der exekutiven Staatsgewalt bestehende Schieflage im Gleichgewicht der Staatsgewalten abzufedern.
Mit gutem Grund hat daher die Standesvertretung gegen die Aufweichung dieser langjährigen Praxis protestiert. Es ist höchst an der Zeit, eine klare gesetzliche Grundlage in diesem Sinn zu schaffen, in der – sachlich gerechtfertigte Einschränkungen im Strafvollzug ausgenommen – für die übrigen Bereiche Richteramtsprüfung und staatsanwaltschaftliche bzw. richterliche Praxis (von einer gewissen Mindestdauer) festgelegt werden. Diese Absicherung sowie Personalsenate in der Staatsanwaltschaft und im Bundesministerium für Justiz und ein Ausbau der Zuständigkeit richterlicher Personalsenate könnten rasch als sinnvolle und notwendige erste Schritte eine Verbesserung des dargelegten strukturellen Ungleichgewichts der Staatsgewalten bewirken.