Lost in Wikilegia
Der Schutz von Justizangehörigen vor Diffamierungen, Drohungen und Beschimpfungen in der virtuellen und realen Welt war nicht nur ein Thema der diesjährigen RichterInnenwoche, sondern beschäftigt uns bereits seit mehreren Jahren. Webseiten mit beleidigenden und verleumderischen Inhalten, Übergriffe und Drohungen bei Gericht, die unautorisierte Veröffentlichung von persönlichen Daten, Fotos und Videos – das alles ist leider keine Seltenheit mehr.
Zur Klarstellung: es geht nicht um sachliche Kritik, die naturgemäß auch manchmal emotional gefärbt sein kann. Wir können mit Kritik umgehen und müssen uns auch damit auseinandersetzen.
Die angesprochenen Fälle überschreiten jedoch die Grenzen zulässiger Kritik bei Weitem und dürfen nicht toleriert werden. Wege, seinen Unmut über die Justiz und ihre Organe kund zu tun, gibt es viele. Das Internet bietet die perfekte Bühne um ein breites Publikum zu erreichen. Die Betroffenen selbst können kaum etwas dagegen unternehmen. In laufenden Verfahren ist zudem Zurückhaltung geboten, um
einer – provozierten? – Befangenheit vorzubeugen. Als betroffene Richterin soll man also unbeeindruckt und unbeeinflusst sein (was sicher nicht immer leicht fällt). Doch welches Bild wird durch derartige Veröffentlichungen von unserem Berufsstand und der Justiz generiert? Anfeindungen einzelner Organe sind immer auch ein Angriff auf das System und schwächen letztlich das Vertrauen in die Justiz.
Die Angriffe beschränken sich leider nicht nur auf das WWW. Drohbriefe und verbale Drohungen sind ebenfalls Teil des Justizalltags. Wie sollen wir damit umgehen, wann ist eine solche Äußerung ernst zu nehmen? Das LG für Zivilrechtssachen Wien hat für diese Fälle eine Clearingstelle eingerichtet, die in enger Zusammenarbeit mit Spezialisten der Polizei derartige Schreiben und Vorfälle analysiert und erforderlichenfalls Maßnahmen vorschlägt. Dieses erfolgreiche Projekt sollte Vorbild für ein bundesweites Konzept sein. Erste Überlegungen dazu werden im Justizministerium bereits angestellt und führen hoffentlich bald zu einer praktischen Umsetzung.
Der Bund als Dienstgeber hat im Rahmen seiner Fürsorgepflichten seine Dienstnehmer vor Straftaten zu schützen, aber auch Maßnahmen zum Schutz der Integrität und Würde seiner Bediensteten zu ergreifen – RichterInnen und StaatsanwältInnen sind davon nicht ausgenommen. Der Staat hat aber auch ein vitales Interesse die dritte Staatsgewalt als solche zu schützen, das Funktionieren des Justizsystems und das Vertrauen in die unabhängige Rechtsprechung. Dafür sind geeignete Maßnahmen zu treffen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das Vertrauen in die Justiz ist uns allen ein wertvolles Gut, das es zu schützen gilt.
In dieser Ausgabe der Richterzeitung widmen sich die Beiträge von Michael Reiter und Gabriela Thoma-Twaroch dem Thema und zeigen Lösungsmöglichkeiten auf. Die Schaffung eines Gesetzes zur Beseitigung von die Persönlichkeitsrechte verletzenden Internetinhalten durch den Bund als Kläger wäre ein wichtiger Schritt, die politisch Verantwortlichen sind jedoch bislang „zögerlich“. Die Befürchtung, die Öffentlichkeit hätte kein Verständnis für derartige gesetzlichen Maßnahmen und würde diese als Sonderbehandlung und Abschottung der Justiz, oder gar als „Maulkorb“ verstehen, ist jedoch unbegründet. Unsere Forderungen sind weder überschießend noch unsachlich. Es wäre wie immer Sache einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit, die Hintergründe und Folgen zu erklären und für Verständnis in der Bevölkerung zu sorgen. Die ORF-Sendung „Report“ hat bereits in einem Beitrag vom 14. April 2015 sehr sachlich über dieses Thema berichtet. Auch die Medienberichterstattung im Rahmen der RichterInnenwoche war durchwegs positiv. Beschimpfungen, Verleumdungen und Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte stehen nicht unter dem Schutzmantel der Meinungsfreiheit, für die Medien (vgl. §§ 6 und 7 MedienG) ist dies selbstverständlich. Vielleicht hat ja auch der Dienstgeber ein – spätes – Einsehen?