Mensch und Maschine
Zwei aktuelle Projekte des Justizministeriums sollen unser Arbeitsumfeld und unseren Berufsalltag neu gestalten: Justiz 3.0 und die Teamassistenz. Es geht um die Einführung des elektronischen Akts samt weitgehendem Ausbau von IT-Lösungen und die Neuorganisation des Kanzleibetriebs. Auf den ersten Blick haben die beiden Projekte nicht viel gemeinsam, doch sie dürfen nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Der elektronische Akt und der verstärkte Einsatz von EDV im richterlichen Alltag sind mehr oder minder beschlossene Sache und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Anwendungen verfügbar sind. Auch wenn man uns zusichert, weiterhin im Papierakt arbeiten zu können (dürfen), wird diese Umstellung für viele Kolleginnen und Kollegen eine große Herausforderung sein und den zukünftigen Arbeitsstil – ob man will oder nicht – beeinflussen. Und gerade das bereitet vielen Kopfzerbrechen. Denn wer unterstützt uns in der Anwendung der neuen Wunder der Technik?
Die Teamassistenz in der Kanzlei soll eine bessere Arbeitsauslastung und Verfügbarkeit gewährleisten, bessere Ausbildung und Verdienstmöglichkeiten für Teamleiter und -mitglieder, sowie langfristig eine Ausweitung der Kompetenzen und Tätigkeitsbereiche der Kanzleikräfte und damit Entlastung der Rechtsprechungsorgane im administrativen Bereich. Es ist wohl naiv zu glauben, dass mit der Teamassistenz ein Zuwachs an Personal in den Kanzleien und Schreibabteilungen (die es dann vielleicht gar nicht mehr geben wird?) verbunden ist. Dies ist schon aufgrund der immer noch fortlaufenden Sparpläne im öffentlichen Bereich und dem Abbau von öffentlich Bediensteten kaum zu verwirklichen. Die Arbeit soll also bloß besser verteilt werden, um die verbliebenen Ressourcen so gut wie möglich einzusetzen. Und vielleicht bleibt am Ende auch tatsächlich noch Raum für unsere Entlastung. Die ist auch ohne Einführung des elektronischen Akts dringend geboten und wäre für uns das maßgebliche Kriterium, das Projekt Teamassistenz aus richterlicher Sicht zu unterstützen.
Die Konzentration auf richterliche Kernaufgaben ist ein vielgehegter Wunsch: mehr Zeit für Verhandlungsvorbereitung und -führung, Entscheidungsfällung und Fortbildung, Abbau oder zumindest weniger Aufwand mit nicht zwingend richterlichen Aufgaben (Dolmetscherbestellung, Kostenbestimmung, usw). Es geht nicht um Bequemlichkeit oder um Arbeiten, die uns „zu minder“ sind, sondern um eine sinnvolle Aufgabenverteilung und Konzentration auf das Wesentliche – auch im Sinne der rechtsuchenden Bürger. Für den Dienstgeber ist es ebenfalls nicht wirklich wirtschaftlich, administrative Tätigkeiten von Beamten und Vertragsbediensteten zu Richtern und Staatsanwälten zu verlagern, die mehr kosten und sich doch eigentlich anderen Aufgaben widmen sollten. Aber wirtschaftliches Denken ist dem Staat – so scheint es jedenfalls – eher fremd. Schnelle Erfolge und öffentlichkeitswirksame Vorzeigeprojekte sind oft wichtiger als langfristige und vorausschauende Planung.
Ob die Einführung nicht bloß elektronisch verfügbarer, sondern elektronisch zu bearbeitender Akten und der „papierlose Schreibtisch“ – und wohl auch der papierlose Verhandlungssaal – zu unserer Entlastung beitragen werden? In Teilbereichen bestimmt, aber für Alles und Alle? Menschen können nur bedingt durch EDV ersetzt werden, und auch diese muss letztlich von Menschen bedient werden. Es wird einer kompetenten Unterstützung der Entscheidungsorgane bedürfen, wenn sie die für teures Geld entwickelten und angeschafften IT-Lösungen und Geräte optimal nutzen sollen. Dies muss aber bereits jetzt berücksichtigt werden, wenn Reorganisationsmaßnahmen geplant und der Kanzleibetrieb neu strukturiert werden soll. Es besteht auch die Gefahr, dass die elektronische Aktenführung Tätigkeiten von der Kanzlei auf den Richtertisch (pardon: den Richter-PC) verschiebt. Ein weiteres vermeintliches Einsparungspotenzial?
Die Standesvertretung verfolgt beide Projekte genau, um unsere Bedenken rechtzeitig zu äußern, aber auch Ideen und Anregungen einzubringen. Auch unsere dafür zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen sind knapp, aber schließlich geht es um die Gestaltung unseres zukünftigen Arbeitsplatzes, dies kann und darf nicht ohne uns oder über uns hinweg geschehen. Mit der Zeit zu gehen, die Möglichkeiten der Technik zu nutzen um sich damit die Arbeit zu erleichtern, ist sinnvoll und notwendig. Aber man darf im Übereifer und in Anbetracht der fast unbeschränkten technischen Möglichkeiten jene Menschen nicht aus dem Blickfeld verlieren, die mit diesen „Errungenschaften“ arbeiten müssen.
Die Technik soll dem Menschen dienen – nicht umgekehrt.