Das Image der Justiz- zur medialen Kritik an Auswahl und Schulung
Editorial 09/2014
von Gernot Kanduth
Ein im Blickpunkt des öffentlichen Interesses stehender Strafprozess war kürzlich (wieder einmal) Anlass für kritische mediale Berichterstattungen. Dabei zogen die Kommentatoren aus einem (oder wenigen) Verfahren Schlüsse auf das „Image der Justiz“ im Allgemeinen und kritisierten generell die Auswahl, Ausbildung und Fortbildung der österreichischen Staatsanwältinnen, Staatsanwälte, Richterinnen und Richter. Sie forderten auszugsweise, sich „ernsthaft Gedanken über die Qualität des Richterpersonals, sein Verhalten Beschuldigten gegenüber und die fachliche Kompetenz“ zu machen (Anneliese Rohrer, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.07.2014), sahen einen guten Anlass, „der Personalauswahl sowie Aus- und Fortbildung der Richter und Staatsanwälte mehr an Aufmerksamkeit und Mittel zukommen zu lassen und neue Initiativen zu setzen“ (Oliver Scheiber, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 21.07.2014), propagierten, dass soft-skills „auch in der Justiz einen Wert darstellen“ müssten und prangerten an, dass „nach wie vor […] Angepasstheit und Korpsgeist – und das Bemühen, nur ja nirgendwo anzuecken“, regieren würden (Petra Stuiber, DER STANDARD, 28.07.2014)
Während ich mir ohne Aktenkenntnis und eigene Prozessbeobachtungen nicht zutraue, die Kritik an den anlassgebenden Strafverfahren auf ihre Berechtigung zu überprüfen, scheint eine Stellungnahme zu den abgeleiteten allgemeinen Vorwürfen an der Rekrutierung und der Schulung notwendig, um der Frage nachzugehen, ob wir tatsächlich falsch ausgewählt, schlecht aus- und unzureichend fortgebildet werden.
An der laufenden Diskussion stört vor allem, dass gewisse Fakten gänzlich unerwähnt bleiben:
So sind neben den fachlichen Kenntnissen auch Auffassungsgabe, Entschlusskraft, Zielstrebigkeit, Belastbarkeit, Entscheidungsfreude, Ausdrucksfähigkeit, Persönlichkeit, soziales Verhalten und Selbstkritik wesentliche Kriterien bei der Auswahl der Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärter.
Zuteilungen zu Justizanstalten und Opferschutzeinrichtungen stellen verpflichtende, solche zu dem oder der Rechtsschutzbeauftragten und zu Einrichtungen der Bewährungshilfe fakultative Ausbildungsstationen im richterlichen Vorbereitungsdienst dar.
Das Aus- und Fortbildungsangebot befasst sich allein im Herbst 2014 beispielsweise mit der „Gesprächsführung in Verhandlungen“, mit der Glaubhaftigkeit von Aussagen in psychiatrischer Hinsicht, mit „rationalen und irrationalen Faktoren der Entscheidungsfindung“, mit dem Thema „Ausländer/innen sind anders, Österreicher/innen auch – Wie wollen wir dem ‚Anderen‘ begegnen?“, mit den „Gefährlichen Jugendjahren“ in einem Seminar zum Verständnis jugendlicher Entwicklungsprozesse, mit den praktischen Auswirkungen der EU-Charta der Grundrechte und der Antidiskriminierungsrichtlinie. Und auch die Welser Erklärung, die ethische Grundsätze für das richterliche Handeln festlegt und zu der sich sämtliche Mitglieder der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter bekennen, ist schon seit langem im Ausbildungsprogramm verankert.
Allerdings wurde durch die Verkürzung der Gerichtspraxis auf 5 Monate natürlich auch der Beobachtungszeitraum und damit die wichtigste Grundlage für die Beurteilung des richterlichen Nachwuchses in fachlicher und persönlicher Hinsicht bedeutend eingeschränkt und nützt das umsichtigste Auswahlverfahren nichts, wenn wir nicht das Interesse der am besten für unseren Beruf geeigneten jungen Juristinnen und Juristen wecken. Neben der Neugestaltung eines attraktiven und der Bedeutung unserer Tätigkeit gerecht werdenden Gehaltsschemas kann und sollte hier durch dienstrechtliche Maßnahmen wie der Einführung einer flexiblen Auslastung und der Ermöglichung von Sabbaticals auch für Richterinnen und Richter nachgebessert werden.
Trotz aller Bedachtnahme auf soft-skills in Auswahl und Ausbildung wird unser Nachwuchs wohl auch nicht zu eigenständig, kritisch und unabhängig denkenden Entscheidungsträgern, wenn dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung, der Statistik und dem Damoklesschwert Amtshaftung überproportional Raum und zu massive Betonung in der Vorbereitung zum Richteramt zugemessen werden.
Schließlich kommt das umfassendste Schulungsangebot nicht zur Geltung, wenn durch die Überbelastung mit den Kernaufgaben in der Rechtsprechung die Zeit zur Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen fehlt.
Ansatzpunkte für konstruktive Kritik zur Verbesserung der Auswahl und Schulung bestehen also durchaus, dennoch funktioniert die Justiz im Großen und Ganzen, und ich bin überzeugt, dass die im bestehenden System ausgewählten, ausgebildeten und weiter geschulten Kolleginnen und Kollegen ihre Entscheidungen auf Grundlage der geltenden Rechtsordnung und ihrer freien inneren Entscheidung im Geiste der Welser Erklärung treffen und sich nicht durch eine von Politik, Medien und in Internetforen vertretene, oft von subjektiven Rache- oder Freispruchgelüsten motivierte, öffentliche Erwartungshaltung treiben lassen.