Die Qualität des Dialogs
Editorial 07/08 2014
von Christian Haider, Gerhard Jarosch und Werner Zinkl
Die Frist, in der Stellungnahmen zum Entwurf des kürzlich beschlossenen Strafprozessrechtsänderungsgesetzes – der eindeutig bedeutendsten und umfangreichsten Novelle der StPO, seit vor zehn Jahren die Vorverfahrensreform beschlossen wurde -, abgeben werden durften, betrug ganze sechzehn (16) Tage. Für eine Novelle, mit der das Mandatsverfahren wieder eingeführt, strafrechtlichen Ermittlungen eine grundsätzliche Höchstdauer von drei Jahren gesetzt, oder die umstrittene Bestellung von Sachverständigen neu geregelt wurde. Daneben wurde erstmals eine rechtliche Basis für die Medienarbeit im Ermittlungsverfahren geschaffen, der Beschuldigtenbegriff ausdifferenziert und der zweite Berufsrichter für größere Schöffenverfahren wieder eingesetzt. Alles in allem eine große Reform von wichtigen Teilen der StPO, die man vor Beschlussfassung ausführlich und wiederholt diskutieren sollte, um am Ende zum bestmöglichen Ergebnis zu kommen. Da weder die Begutachtungsfrist von sechs Wochen gewährt wurde, noch im Justizausschuss des Nationalrates die Vertreter der Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte angehört wurden, gab es keinen ausreichenden Dialog zwischen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit.
Wir wollen hier nicht mit dem Finger auf einzelne Akteure zeigen und Schuld zuweisen. Diese Novelle ist auch nur ein Beispiel für die Praxis der letzten ein bis zwei Jahrzehnte: Noch in den Neunziger Jahren wurden regelmäßig alle betroffenen Berufsgruppen vor größeren Reformvorhaben mehrfach zu Gesprächen eingeladen. Ideen wurden bei verschiedensten Veranstaltungen in unterschiedlicher Zusammensetzung diskutiert und Standesvertreter konnten ihre Vorschläge im Justizausschuss vortragen und Bedenken gegen einzelne Änderungen mit Argumenten untermauern. Heute haben die Hetzjagd nach den Schlagzeilen und die Kurzlebigkeit des politischen Diskurses zur Rechtspolitik all das in Vergessenheit geraten lassen. Die Schlagzahl der Gesetzesänderungen wurde dermaßen vervielfacht, dass die Rechtsverlage mit dem Neudruck von Kodices kaum nachkommen. Die Speed kills-Ideologen haben den Weg für jene geebnet, die im Zweifel keine Zweifel aufkommen lassen wollen. Warum auch diskutieren, wenn man doch dekretieren kann? Die Folgen sind vorhersehbar; die Notwendigkeit, die Novelle von Gestern heute und morgen reparieren zu müssen zeigt sich auch im eingangs beschriebenen StPRÄG. Übereilte Reformen erweisen sich nicht als praktikabel, werfen neue Probleme auf und müssen mitunter rückgängig gemacht werden. Die Verkürzung der Gerichtspraxis zeigte das deutlich; gerade über diesen heiklen Punkt wurde vor Beschlussfassung kaum geredet, jetzt muss repariert werden. All das ist dem Vertrauen in Rechtsstaat und parlamentarische Demokratie abträglich. Im Interesse dieser beiden Säulen unseres Zusammenlebens und ohne Vorwurf fordern wir die Einhaltung folgender Mindeststandards bei der Gesetzwerdung:
Schon vor Erstellung von Entwürfen sollen neue Ideen, Reformvorschläge und Änderungswünsche breit und ausreichend lang diskutiert werden. Alle betroffenen Berufsgruppen sind einzubeziehen, die Vorschläge sind offen zu legen ohne im letzten Moment die späteren Anwender zu überraschen. Für den Gedankenaustausch zwischen Lehre, Praxis und Politik gibt es bereits genügend Podien, sie müssen nur besucht und offen informiert werden.
Die Begutachtungsfrist für Gesetzesentwürfe von sechs Wochen darf nicht unterschritten werden; bei größeren Vorhaben soll sie noch deutlich erhöht werden. Gravierende Änderungen während der Gesetzwerdung dürfen nicht in Metternich’scher Manier ins Parlament geschummelt werden um neue Diskussion zu unterbinden. Grundlegende und überraschende Änderungen sind in einer zweiten Begutachtungsphase neuerlich für Stellungnahmen offen zu legen.
Der Dialog zwischen Legislative und Gerichtsbarkeit sollte aber nicht bloß auf das Schriftliche reduziert werden. Die Standesvertreter sind jederzeit bereit, unsere Nationalratsabgeordneten über die Vorstellungen der Praxis zu informieren und der Entscheidungsfindung im Parlament die Erfahrungen der Rechtsanwender als eine weitere Grundlage anzubieten. Der persönliche Austausch wird ein besseres Verständnis über die jeweils andere Staatsgewalt als Nebeneffekt mit sich bringen.
Vor allem fordern wir ein Ende der Hetzerei nach Gesetzesnovellen: Bedeutende Änderungen müssen nicht zum nächstmöglichen Zeitpunkt in Kraft treten, wenn sie davor nicht gründlich durchdacht werden können. Lieber später, dafür aber besser. Im Interesse unserer Gesellschaft.