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Werte, Grenzen und Novellen

Editorial 05/2014 von Sabine Matejka

 

Im Jahr 2012 wurde mit dem 2. Stabilitätsgesetz 2012 die Jurisdiktionsnorm geändert und die Wertgrenze für die Zuständigkeit der Bezirksgerichte angehoben. Die ursprünglich geplante sofortige Anhebung auf EUR 25.000,- konnte die Standesvertretung damals noch in letzter Minute verhindern und ein vorläufiger Kompromiss im Sinne einer schrittweisen Anhebung (und Anpassung der PAR-Werte C und Cg) erzielt werden. Im ersten Schritt wurde mit 1.1.2013 die Wertgrenze auf EUR 15.000,- angehoben, die weitere Anhebung auf EUR 20.000,- soll ab 1.1.2015 und auf EUR 25.000,- ab 1.1.2016 erfolgen. Die damalige Bundesministerin für Justiz, Dr. Beatrix Karl, hat zugesagt, die Auswirkungen der Novelle nach der ersten Anhebung zu evaluieren und gegebenenfalls gesetzliche Anpassungen vorzunehmen. Grund für diese Wertgrenzennovelle war – zumindest laut den Erläuterungen zur Regierungsvorlage – einerseits eine Inflationsanpassung, andererseits die Herbeiführung einer ausgeglichenen Belastung der Richterinnen und Richter an den Bezirks- und Landesgerichten. Für eine Inflationsanpassung hätte bereits damals eine Anhebung auf ca. EUR 13.000,- genügt. Jedoch waren laut der Personalanforderungsrechnung für Richterinnen und Richter (PAR II) tatsächlich die Landesgerichte mit ca. 120% deutlich stärker belastet als die Bezirksgerichte, deren Auslastung aber großteils ebenfalls über 100% lag.

Seit wenigen Wochen liegen die für die Evaluierung notwendigen PAR-Zahlen 2013 vor. Wenig überraschend hat schon die Anhebung der Wertgrenze auf EUR 15.000,- zu dem gewünschten Belastungsausgleich geführt: die durchschnittliche Auslastung (bundesweit) beträgt bei den Landesgerichten 104,85%, bei den Bezirksgerichten 102,89%. Somit wurde der angestrebt Zweck der Wertgrenzennovelle bereits eindeutig erreicht. Eine weitere Anhebung der Wertgrenzen würde zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Änderung der Zuständigkeiten und bei den Bezirksgerichten vermutlich zu einer nicht mehr bewältigbaren Mehrbelastung führen. Die Standesvertretung hat ihre Forderung nach einer Evaluierung und Gesetzesänderung bereits wiederholt und wird dies auch weiter verfolgen. Seitens des Bundesministeriums für Justiz zeigt man sich gesprächsbereit.

Die Verschiebung der erstinstanzlichen Zuständigkeit hin zu den Bezirksgerichten, damit verbunden aber auch der Rechtsmittelzuständigkeit von den Oberlandesgerichten zu den Landesgerichten, bedeutet im Ergebnis nicht nur eine Umverteilung auf „billigere“ Planstellen, sondern stellt auch einen Eingriff in ein bewährtes und funktionierendes System dar. Die von manchen Kolleginnen und Kollegen geäußerte Befürchtung, die Wertgrenzennovelle sei nur ein verdeckter Versuch, schleichend die Trennung in Bezirks- und Landesgerichte aufzuheben und Eingangsgerichte einzuführen, ist nachvollziehbar. Die Pläne dazu sind nie gänzlich in den Schubladen verschwunden; die Standesvertretung hat zuletzt im vergangenen Jahr in einem umfangreichen Katalog gegenüber dem Bundesministerium für Justiz die Nachteile einer solchen Gerichtsreform dargelegt. Wir wollen sicher nicht jeden Reformgedanken im Keim ersticken. Aber die Basis einer grundlegenden Änderung der Gerichtsorganisation und generell jedes Eingriffs in die unabhängige Gerichtsbarkeit kann immer nur eine ausführliche, sachlich und offen geführte Diskussion sein. Derartige Änderungen dürfen niemals Gegenstand von nur scheinbar unbedeutenden Novellen und kaum beachteten Nebengesetzen sein (offenbar besonders beliebt für derartige Zwecke sind Budgetbegleitgesetze). Diesem „Trend“ muss sich auch, nein: insbesondere, die dritte Staatsgewalt widersetzen. Das sind wir uns selbst und der uns übertragenen Verantwortung und Aufgabe schuldig.

Veröffentlicht am: 18. Mai. 2014

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