Infothek / Meldungen / Aktuelles

9/2025: Maria Nazari-Montazer „Sparbetrieb“

Sparbetrieb

Es lässt sich nicht schönreden: Der Staat hat kein Geld, also wird gespart – auch bei den Gerichten.

Seit Jahren steigen die Anfallszahlen massiv, in vielen Sprengeln liegt die Auslastung längst über 100%. Das gesamte Jahr 2024 haben wir für dringend notwendige zusätzliche Planstellen gekämpft. Zwischendurch schien es, als könnten wir zumindest jene 33 Stellen bekommen, die in den wirkungsorientierten Folgeabschätzungen (WFA) der Gesetzesentwürfe und Initiativanträge der Jahre 2023 und 2024 ausgewiesen sind. Am Ende blieb es bei der Hoffnung: Bis Ende 2026 ist keine einzige zusätzliche Planstelle vorgesehen. Wie sich die Situation 2027 entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Der Betrieb läuft vielerorts nur dank des überdurchschnittlichen persönlichen Einsatzes.

 Wir befinden uns im Sparbetrieb. Um dem Staat Geld zu sparen, sparen wir an unserer Freizeit. Gearbeitet wird längst nicht mehr nur wochentags und tagsüber, sondern auch am Abend, am Wochenende, im Urlaub, im Krankenstand. Viele Verfahren dauern unter diesen Bedingungen schlicht länger – und manches wird wohl auch nicht mehr ganz so perfekt.

Die Situation verlangt nicht nur langfristige strukturelle Antworten, sondern ebenso kurzfristig wirksame Maßnahmen. Genau hier setzen die zahlreichen Vorschläge zur Aufgabenkritik an, die wir gesammelt haben. Ziel ist es, sämtliche Bereiche richterlicher Tätigkeit kritisch zu prüfen: Was ist zwingend notwendig? Wo bestehen Doppelgleisigkeiten? Welche Verfahrensschritte lassen sich vereinfachen oder streichen, ohne rechtsstaatliche Standards zu gefährden?

Unser Aufruf hat eine beeindruckende Resonanz gefunden – hunderte Vorschläge sind eingelangt. Herzlichen Dank dafür: Viele Kolleginnen und Kollegen haben trotz enormer Arbeitsbelastung die Zeit gefunden, kluge Ideen einzubringen, die die Situation spürbar erleichtern könnten. Die Bandbreite reicht von Zivilprozess und Mietrecht über Fluggastrechte, Exekution, Arbeits- und Sozialrecht, Außerstreitverfahren, Familienrecht, Erwachsenenschutz, Unterbringung und Heimaufenthalt bis zu Strafprozess, materiellem Strafrecht, Verwaltungsstrafrecht und Justizverwaltung.

Ein wiederkehrendes Thema ist das Sachverständigenwesen: Der Mangel an geeigneten und bereiten Sachverständigen belastet die Gerichte massiv – die Forderung nach Abhilfe ist unüberhörbar. Viele Anregungen betreffen zudem Aufgaben, die sinnvollerweise von anderen Berufsgruppen übernommen werden könnten. Natürlich müsste dann auch dort die personelle Ausstattung dafür sichergestellt werden. Klar ist: Ein Mehr an Support bedeutet eine Entlastung der Richterinnen und Richter. Es ist schlicht unwirtschaftlich, die teuerste Arbeitskraft mit Tätigkeiten zu befassen, die von anderen günstiger und ebenso gut erledigt werden können. Auch Digitalisierung spielt in mehreren Vorschlägen eine Rolle – und hier ist positiv hervorzuheben, dass eine gut funktionierende digitale Infrastruktur den Gerichten sehr helfen kann. Diese Entwicklung muss unbedingt fortgesetzt werden. Vor allem dürfen die Gerichte bei den aktuellen Möglichkeiten, beispielsweise auch durch die KI, gegenüber anderen Rechtsanwender:innen nicht den Anschluss verlieren.

Wir haben nun alle Vorschläge gesichtet und strukturiert und stellen sie in diesen Mag.a Maria Nazari-Montazer ist Richterin des ASG Wien und Vizepräsidentin der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter. Foto: © Richtervereinigung 186 | RZ 2025 | Österreichische Richterzeitung Editorial Tagen zur Diskussion. Fest steht: Ohne gezielte Entlastung werden die Gerichte ihre Aufgaben in der gewohnten Qualität nicht mehr lange erfüllen können. Aufgabenkritik ist daher kein Selbstzweck, sondern eine Notwendigkeit, um die knappen Ressourcen dort einzusetzen, wo sie den Rechtsstaat am wirksamsten sichern. Die Politik ist gefordert, diese Vorschläge ernst zu nehmen – und wir sind gefordert, diesen Prozess mit Expertise und praktischer Erfahrung zu begleiten.

Doch auch jenseits der Aufgabenkritik braucht es Aufmerksamkeit. Die Rahmenbedingungen der richterlichen Tätigkeit sind entscheidend für das Vertrauen in die Gerichte. Die Verfahren, die wir führen, prägen oft das Leben der Beteiligten für Jahre oder Jahrzehnte. Eine chronisch überlastete Gerichtsbarkeit gefährdet nicht nur den einzelnen Fall, sondern das Vertrauen in den Rechtsstaat insgesamt. Wer Monate oder Jahre auf eine Entscheidung warten muss, verliert Vertrauen – und Vertrauen ist das Fundament, auf dem unser Beruf ruht. Wenn aber das Vertrauen in diese wichtige Säule der Demokratie schwindet, ist am Ende auch die Demokratie selbst geschwächt. Eine Demokratie ist nur so stark wie ihre unabhängigen und leistungsfähigen Gerichte.

Hinzu kommt eine weitere Herausforderung: die Zukunft der Richter:innen selbst. In den kommenden Jahren – und auch schon 2025 – finden starke Pensionsabgänge statt. Wenn wir die besten Köpfe für die Gerichte gewinnen wollen, muss der Beruf attraktiv bleiben. Dazu gehört ein Gesamtpaket, das auch die Arbeitsbedingungen umfasst. Wer sich zwischen verschiedenen Karrierewegen entscheidet, achtet nicht nur auf Prestige oder Sicherheit, sondern auch darauf, ob die Rahmenbedingungen ein Arbeitsleben in Balance ermöglichen. Bleiben die Gerichte dauerhaft im Ausnahmezustand, werden sich viele Talente gegen sie entscheiden.

Sparen macht auch vor der Fortbildung nicht Halt. Besonders bitter ist das, weil die Vereinigung Jahr für Jahr ein vielfältiges und bewährtes Programm auf die Beine stellt, das regelmäßig überbucht ist. § 57 Abs 1 RStDG verpflichtet uns ausdrücklich zur Fortbildung. Schon heuer mussten wir die Curricula aus Familienrecht und Jugendstrafrecht verschieben, weil die Mittel fehlten. 2026 wiederholt sich die Situation: Trotz Verzicht auf zwei bewährte Tagungen, reichen die budgetären Mittel zur Deckung der Kosten für das von den Fachgruppen und den Sektionen ausgearbeitete („volle“) Seminarprogramm nicht aus. Hier sind entweder neue Ideen gefragt – oder der Rotstift. Dabei ist klar: Wer die Qualität der Rechtsprechung sichern will, darf an der Fortbildung nicht sparen. Gerade angesichts der Vielzahl neuer Gesetze und Reformen, die in immer kürzeren Abständen beschlossen werden, braucht es fundierte, aktuelle und leicht zugängliche Fortbildungsangebote. Die jährlichen Tagungen unserer Fachgruppen aus den verschiedenen Sparten stellen hier regelmäßig aktuelles Wissen zur Verfügung. Der Rahmen, in dem dieses präsentiert wird, trägt nicht nur zur Wissensvermittlung bei, sondern ist ebenfalls ein Faktor im Gesamtpaket eines attraktiven Berufsbilds.

Die Gerichte sind keine Nebensache. Sie sind eine tragende Säule unseres demokratischen Staates. Wer an ihnen spart, spart nicht nur an Strukturen, sondern am Fundament der Demokratie selbst. Und wir Richterinnen und Richter sind dabei nicht nur ein Kosten- oder Leistungsfaktor, sondern vor allem Menschen, die dieses System mit ihrem persönlichen Einsatz tragen. Umso mehr bleibt die Hoffnung, dass in den kommenden Jahren die erforderlichen Mittel wieder bereitgestellt werden – damit wir gut arbeiten und die Gerichte ihre Aufgaben in gewohnter Qualität erfüllen können. Die richterlichen Standesvertretungen werden weiterhin mit Nachdruck dafür kämpfen.

Maria Nazari-Montazer


alle anzeigen