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7-8/2025: Martin Ulrich „Weniger ist mehr“

Auch eine ernsthafte Aufgabenkritik wird nicht alle Personalprobleme lösen, sie ist aber alternativlos …

Nach der Budgetrede des Finanzministers am 13. Mai 2025 und dem dazu veröffentlichten Entwurf für ein Doppelbudget 2025/2026 ist es nun enttäuschende Gewissheit: Trotz vielfacher Bemühungen der Standesvertretungen und der Justiz insgesamt gibt es aufgrund der allgemein schlechten Budgetlage keine zusätzlichen richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Planstellen. Und das obwohl nach den Einschätzungen der Standesvertretungen aktuell rund 200 Richter:innen und etwa 45 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte fehlen. Und diese Zahlen sind auch wohl begründbar, ergeben sie sich doch einerseits aus den Daten der justiziellen Personalanforderungsrechnung, aus Anfallssteigerungen in vielen Bereichen, aber auch aus vielen legistischen Maßnahmen der letzten Zeit, die insgesamt einen deutlichen zusätzlichen Aufwand für die richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Kolleginnen und Kollegen gebracht haben, ohne jedoch gleichzeitig das dafür zusätzlich erforderliche Personal zur Verfügung zu stellen. Der bei einzelnen Gesetzesvorhaben in der sogenannten „wirkungsorientierten Folgenabschätzung“ (WFA) immer wieder enthalte Satz, dass mit den geplanten Änderungen sinngemäß kein nennenswerter/signifikanter personeller Mehraufwand verbunden sei, widerspricht nicht nur allzu oft den Erfahrungen der mit dem Vollzug der novellierten Gesetzesbestimmungen befassten Praktiker:innen, er lässt sich arbeitsbelastungsmäßig auch immer schwerer „verdauen“. Es mag schon sein, dass singuläre Novellierungen mit überschaubarem Zusatzaufwand für Richter:innen sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte verbunden sind. Wenn sich das aber wiederholt und – wie zuletzt etwa mit den Neuregelungen zur Beschlagnahme von Daten und Datenträgern im Strafrecht – besonders personalintensive „Brocken“ hinzukommen, dann öffnet sich die Schere zwischen zu bewältigenden Aufgaben und den dafür zur Verfügung stehenden Personalressourcen immer mehr.

Soweit der wenig überraschende und umso mehr betrübliche Befund, mit dem die richter­ und staatsanwaltschaftlichen Standesvertretungen im Übrigen auch nicht alleine sind. Denn auch die Präsidentin und die Präsidenten der vier Oberlandesgerichte haben bereits am 25. November 2024 in einer gemeinsamen Aufforderung an die (damals künftige) Bundesregierung auf knapp 200 fehlende richterliche Planstellen bei den Landes­ und Bezirksgerichten hingewiesen. Ebenso haben sie – gemeinsam mit dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs – in einer Pressemitteilung vom 9. April 2025 darauf hingewiesen, dass (zusammengefasst) eine ausreichende Personalausstattung auch zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Österreich unumgänglich ist, und Einsparungen im Bereich der Justiz trotz angespannter wirtschaftlicher Verhältnisse ein fatales Signal an die Wirtschaft wären und der geplanten Budgetkonsolidierung erst recht im Wege stehen würden. Und auch das Bundesministerium für Justiz bekannte sich erst jüngst (wieder) gegenüber den Standesvertretungen – wenn auch ohne zahlenmäßige Festlegung – zu einem personellen Mehrbedarf im (hier behandelten) richter­ und staatsanwaltschaftlichen Bereich.

Der personelle Mehrbedarf ist somit nicht bloß den Gehirnen übermotivierter Standesvertreterinnen und ­vertretern entsprungen. Er ist im Justizbereich, im Rahmen der medialen Berichterstattung, aber auch (hoffentlich) bei politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, die in Gesprächen gegenüber den Standesvertretungen durchaus Verständnis für die überaus angespannte Personalsituation zeigten, anerkannt. In diesem Zusammenhang hielt es auch die Justizministerin in ihrer Aussendung vom 14. Mai 2025 – neben der Bedeutung einer Aufgabenkritik für die Belastungssituation – für essentiell, dass gerade in jenen Bereichen, in denen die Belastung der Bediensteten besonders hoch ist, die Dienstaufsicht mit besonderer Bedachtnahme auf den Arbeitsanfall ausgeübt wird. Dies und die Wichtigkeit entsprechender, für die Kolleginnen und Kollegen auch wahrnehmbarer Maßnahmen seitens der Dienstbehörden, haben die Standesvertretungen auch jüngst gegenüber der Präsidentin und den Präsidenten der Oberlandesgerichte thematisiert.

Also erst einmal abwarten und auf das nächste – hoffentlich bessere – Budget hoffen? Nein, sicher nicht! Denn die vielen personalintensiven Zusatzaufgaben sind – wie die Erfahrung zeigt – gekommen um zu bleiben. Merklich personalsparende Rücknahmen einmal beschlossener Regelungen sind – soweit überblickbar – nicht erinnerlich. Hinzu kommt, dass, wie die Praxis gerade in der letzten Zeit verstärkt berichtet, die Regelungsdichte immer detaillierter und „kleinteiliger“ und damit im Vollzug der zahlreichen Regelungen immer personalintensiver wird.

Diesen Kreislauf gilt es aber zu durchbrechen bzw. soweit wie möglich zu verlangsamen. Dass dies – schon aufgrund internationaler bzw. europarechtlicher Umsetzungserfordernisse – nicht immer möglich sein wird, ist klar. Und dennoch sollte künftig angesichts der angespannten Personalsituation verstärkt das Motto gelten: Weniger (an Aufgaben) ist mehr! Sparen könnte man ja auch einmal bei den Aufgaben und ein „Sparpaket“ wäre mittlerweile auch im Aufgabenbereich höchst an der Zeit.

Bedauerlicherweise ist aber eine solche Zurückhaltung bezüglich neuer Aufgaben gerade in Zeiten fehlenden Personals nicht festzustellen. Dies ergibt schon ein Blick in die zu verschiedenen Gesetzesvorhaben jeweils erstellten wirkungsorientierten Folgenabschätzungen (WFA), die u.a. auch die erwarteten Auswirkungen einer legistischen Maßnahme auf den damit verbundenen Planstellenbedarf abbilden sollen. Diese WFAs bleiben mit ihren Prognosen nach Einschätzung vieler Praktiker:innen regelmäßig hinter dem tatsächlich erwartbaren Mehraufwand zurück.

Und auch das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) – bei manchen mit der Umsetzung nicht unmittelbar Befassten vielleicht schon teils in Vergessenheit geraten – wird sich mit seinem Inkrafttreten am 1. September 2025 (planstellenmäßig wohl unliebsam) in Erinnerung rufen. Zusätzliche Planstellen hat es dafür bis dato übrigens nicht gegeben. Ebenso wenig – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen – wurde auch der Mehraufwand betreffend die Veröffentlichung von OLG­Entscheidungen und rechtskräftiger Entscheidungen anderer Gerichte, die von allgemeinem, über den Einzelfall hinausgehendem Interesse sind (§ 48a GOG), planstellenmäßig abgedeckt (mag auch IKT­mäßig viel zur Aufwandsminimierung unternommen werden).

Und damit ist man bereits beim Schlagwort „Aufgabenkritik“ angelangt. Denn die Zeit bis zum nächsten Budget, dessen Verhandlungen wohl bereits in einem guten Jahr im Herbst 2026 beginnen werden, sollte jedenfalls auch dafür genützt werden, welche Aufgaben tatsächlich von der Justiz wahrgenommen werden müssen und inwieweit Regelungen im materiellen und formellen Recht, darunter insbesondere, aber nicht nur, auch im Kostenrecht, vereinfacht werden können.
Klar ist aber auch, dass selbst beherzte Novellierungen den aktuellen Fehlbestand in richter­ und staatsanwaltschaftlichen Bereichen nicht annähernd ausgleichen werden können, ganz abgesehen davon, dass es von den ersten Facharbeitsgruppen und der inhaltlichen Prüfung von Vorschlägen auf ihre Sinnhaftig­ und Umsetzbarkeit bis zu einer finalen legistischen Lösung – die naturgemäß auch eine (realpolitische) Mehrheit im Parlament finden muss – ein langer mühsamer Weg sein wird. Dass hier leider auch in den Legislativabteilungen des Justizministeriums nur beschränkte Personalkapazitäten zur Verfügung stehen, erleichtert das Vorhaben nicht gerade.

Und dennoch ist dies aufgrund realpolitischer Alternativlosigkeit anderer Optionen derzeit – wie von Justizministerin Dr.in Sporrer zutreffend in ihrer Aussendung angesprochen – ein wichtiger Ansatz, die mittlerweile in zu vielen Bereichen zu hohe Arbeitsbelastung wenn auch nicht kurz­, so doch hoffentlich mittel­ und langfristig dauerhaft zu senken.

Die richter­ und staatsanwaltschaftlichen Standesvertretungen werden sich selbstverständlich (wieder) intensiv an einem Aufgabenkritikprojekt beteiligen, um damit die Arbeitsbelastung zumindest teilweise zu senken. Erste Vorschläge werden wir dem Justizministerium sehr kurzfristig übermitteln, weitere werden folgen.

Die Standesvertretungen werden aber vor allem auch eines tun: nämlich regelmäßig auf den zusätzlichen Planstellenbedarf an Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und auf die Bedeutung einer personell ausreichend ausgestatteten Justiz für ganz Österreich hinweisen!

Denn: Nach dem Budget ist vor dem Budget – der aktuelle zusätzliche Planstellenbedarf wird sich künftig nicht in Luft auflösen!

Martin Ulrich


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