6/2025: Elisabeth Brunner „Sparen an der Substanz – Justiz zwischen Überlastung und Unterbesetzung“
Der Beitrag der Justiz zur Budgetsanierung wurde bereits umfassend diskutiert. Unbestritten ist, dass aufgrund neuer gesetzlicher Aufgaben und stark gestiegener Verfahrenszahlen mindestens 200 zusätzliche richterliche Planstellen und auch Personalaufstockungen im staatsanwaltschaftlichen Bereich dringend erforderlich sind. Diese sind jedoch nicht vorgesehen, und es ist so gut wie ausgeschlossen, dass sich daran bis Ende 2026 etwas ändern wird.
Das Fehlen dieser Stellen ist nicht nur aus den bekannten rechtsstaatlichen Gründen besorgniserregend, sondern vor allem mit Blick auf den bereits jetzt enormen Arbeitsdruck, dem Richter:innen ausgesetzt sind. Bei allem Verständnis für Sparzwänge dürfen die physische und psychische Gesundheit nicht weiter gefährdet werden. Auch die hohe Leistungsbereitschaft und Resilienz der Richter:innen haben ihre Grenzen. Der zunehmende Druck führt nicht nur zu Frustration, sondern bedroht nachhaltig auch die Attraktivität des Berufs. Bereits jetzt berichten zahlreiche Kolleg:innen von innerer Kündigung, wachsendem Sinnverlust und einer Entfremdung vom richterlichen Ethos. Viele sehen sich gezwungen, trotz Teilauslastung de facto Vollzeit zu arbeiten, Urlaub kaum noch in Anspruch zu nehmen, und fühlen sich angesichts fehlender Ressourcen und mangelnder politischer Unterstützung zunehmend allein gelassen. Besonders junge Richter:innen, die voller Engagement starten, stoßen schnell an strukturelle Grenzen. Teilauslastungen bestehen oft nur auf dem Papier – in der Praxis bleibt es bei voller Verantwortung bei reduzierter Zeit. Diese systematische Überlastung ist Raubbau an der Gesundheit und untergräbt die Funktion der Justiz als verlässliche Instanz in einer komplexer werdenden Gesellschaft.
Mehr Unterstützung durch Rechtspraktikant:innen ist durch die Verkürzung der Gerichtspraxis von sieben auf fünf Monate nicht zu erwarten. Diese Maßnahme ist auf den ersten Blick nachvollziehbar – gespart wird dort, wo es am wenigsten Widerstand gibt. Die Gerichtspraxis war bereits in der Vergangenheit oft eines der ersten Einsparungsopfer: Mit der seinerzeitigen Verkürzung des zwölfmonatigen Gerichtsjahres auf neun Monate wurde nicht nur am Ausbildungsbeitrag gespart, sondern gleichzeitig auch die Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosengeld eingeschränkt. Danach wurde erst auf sechs, dann auf fünf Monate verkürzt, bevor 2017 wieder auf sieben Monate verlängert wurde. Zukünftig werden für das Erreichen des Ausbildungsziels, der Erprobung und Vertiefung von Rechtskenntnissen wieder fünf Monate ausreichen müssen.
Die „praxisbezogene Verbesserung, Verbreiterung, Intensivierung und Attraktivierung dieser insbesondere für den Bereich der sogenannten ‚klassischen‘ Rechtsberufe von allen Vertreterinnen und Vertretern der Rechtsberufe, den Präsidentinnen bzw Präsidenten der Oberlandesgerichte, den Oberstaatsanwaltschaften, den mit der beruflichen Ausbildung von Absolventinnen und Absolventen der juristischen Studien befassten Personen sowie von den Personal- und Standesvertretungen als unverzichtbar angesehene traditionelle Berufsaus- und -vorbildung“ ist offenbar doch wieder verzichtbar. Das ist besonders enttäuschend, weil gerade diese Zeit nicht nur Einblicke in die richterliche Arbeit ermöglicht, sondern auch ein wichtiges Instrument zur Nachwuchsgewinnung darstellt.
Dem Sparzwang geschuldet und suboptimal kommuniziert wurde zuletzt auch das (Nicht)Übernahmeverfahren von 17 Rechtspraktikant:innen im Sprengel des OLG Wien beendet. Dass die 13 „leider-doch-nicht“ Übernommenen eine intensive und attraktive Berufsaus- und -vorbildung genossen haben, wird sie nur wenig über die Enttäuschung hinwegtrösten. Das Vertrauen in den Dienstgeber Justiz ist beschädigt – ein Bärendienst im Kampf um die besten Köpfe.
Hinzu kommt, dass die Verunsicherung unter angehenden Jurist:innen wächst. Wer sich mit Idealismus und Leistungsbereitschaft in die Praxis begibt, sich engagiert, und am Ende mit einer überraschenden Absage konfrontiert wird, erlebt nicht nur eine persönliche Enttäuschung, sondern auch ein institutionelles Desinteresse. Das demotiviert nicht nur individuell, sondern kann auch abschreckend auf nachfolgende potenzielle Bewerber:innen wirken – und das in einer Zeit, in der die Justiz teils ohnehin Schwierigkeiten hat, ausreichend qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen.
Im Gegensatz dazu erscheint die Planstellensituation im Bundesfinanzgericht geradezu komfortabel. Wie sonst ist erklärbar, dass von den 226 richterlichen Planstellen zumindest 10–15 % dauerhaft unbesetzt sind (Ende 2023 waren sogar knapp 46 Planstellen nicht besetzt). Trotz dieser Unterbesetzung bescheinigt der Rechnungshof in seinem Follow-Up-Bericht zum Bundesfinanzgericht eine erkennbare Trendumkehr in mehreren Bereichen. Er stellte nämlich fest: „das Bundesfinanzgericht (BFG) setzte von sieben Empfehlungen fünf um und zwei teilweise um.“ Dieses Ergebnis verdient Anerkennung und zeigt, dass die Umsetzung der Empfehlungen umgehend in Angriff genommen wurde.
Besonders hervorgehoben wird eine standardisierte Besetzungsroutine, mit der Meilensteine bei Ernennungen, Ausschreibungen und Ruheständen gesetzt wurden. Diese Maßnahmen schaffen mehr langfristige Planbarkeit im Personalbereich, sollen aber offensichtlich und unabhängig von der aktuellen budgetären Situation gar nicht dazu führen, alle offenen richterlichen Planstellen jemals wieder zu besetzen. Vielmehr ist beabsichtigt, ab 2025 kontinuierlich 206 Planstellen mit Personal für die Rechtsprechung zu besetzen.
Dabei stellt sich auch die grundsätzliche Frage, wie Personalplanung künftig gedacht werden soll. Der rein technische Zugang – etwa durch automatisierte Besetzungsroutinen – ist sinnvoll, aber kein Ersatz für strategisches Personalmanagement mit tatsächlichem Fokus auf die Belastungssituation vor Ort. Eine Planung, die unabhängig von realer Verfahrensentwicklung lediglich auf Zielzahlen beruht, läuft Gefahr, das System zu stabilisieren, nicht zu verbessern. Wenn dauerhaft ein erheblicher Anteil der Planstellen offenbleibt, stellt sich die Frage, ob hier nicht bewusst ein strukturelles Untermaß verwaltet wird.
Auch die Entlastung von Richter:innen von Verwaltungsaufgaben zählt zu den umgesetzten Empfehlungen. Welche konkreten Maßnahmen für diese Feststellung ausschlaggebend waren, bleibt unklar – das „richterliche Berichtswesen, in dem jede Gerichtsabteilung quartalsweise Berichte über anhängige Altfälle erstellte“, kann wohl nicht gemeint sein. Vermutet werden kann, dass mit den sieben juristischen Mitarbeiter:innen, dem Aufstocken des Präsidiums und der Geschäftsstellen argumentiert wurde. Die Argumentation ist selbstverständlich legitim. Es stellt sich allerdings die Frage, ob und wie sich diese Maßnahmen auf den richterlichen Alltag tatsächlich ausgewirkt haben. Die Entlastung von Verwaltungsaufgaben ist kein Selbstzweck, sondern soll bewirken, dass sich die Arbeitsrückstände und die Verfahrensdauer reduzieren. Es überrascht nicht, dass sich aufgrund des überdurchschnittlichen Aktenanfalls am Sitz in Wien die Arbeitsrückstände auch dort konzentrieren. Die gleichmäßige Verteilung von sieben neuen juristischen Mitarbeiter:innen auf jeden Standort ergibt für den Sitz in Wien somit auch nur einen juristischen Mitarbeiter und das für ca. 92 Richter:innen. Eine spürbare Entlastung von Verwaltungsaufgaben ist zumindest am Sitz in Wien (noch) nicht eingetreten.
Erklärbar ist diese, wie auch einzelne andere missverständliche Feststellungen des Rechnungshofs allenfalls dadurch, dass dieser sich bei seinen Beurteilungen in erster Linie auf Aussagen der Justizverwaltung (die er zu prüfen hatte) gestützt haben dürfte. Ein Hinterfragen einzelner Feststellungen auch bei betroffenen Richter:innen hätte möglicherweise ein differenzierteres Bild ergeben.
Was oft untergeht: Die Justiz ist kein Dienstleister im klassischen Sinn – sie ist eine tragende Säule des Rechtsstaats. Ihre Funktion kann nicht beliebig verschlankt, beschleunigt oder flexibilisiert werden, ohne dass dies Konsequenzen für Rechtssicherheit und Vertrauen in staatliches Handeln nach sich zieht. Wenn Verfahren zu lange dauern, wenn Urteile unter Zeitdruck entstehen oder wenn Berufseinsteiger:innen sich nicht mehr gut vorbereitet fühlen, leidet die Substanz der Rechtsstaatlichkeit selbst – schleichend, aber unaufhaltsam.
Wer am Fundament der Justiz spart, riskiert das Gebäude des Rechtsstaats.
Elisabeth Brunner