5/2025: Elena Haslinger „StPRÄG… und jetzt?“
Mit 1. Jänner 2025 ist das Strafprozessrechtsänderungsgesetz in Kraft getreten, das die politischen Akteurinnen und Akteure nicht ohne Stolz als größte Reform des Strafprozessrechts seit 20 Jahren bezeichnet haben. Dass man es trotzdem nicht für erforderlich gehalten hat, bereits bei der Konzeption des Reformpakets Praktiker:innen einzubeziehen, die die Regelungen in ihrer Arbeit tagtäglich anwenden und ihnen entsprechen müssen, erweist sich nun als gravierendes Defizit. Viele Details der Reform sowie deren Auswirkungen und Folgen auf die Praxis konnten nicht diskutiert werden und so manche Warnung der Praktiker:innen wurde in den Wind geschlagen und die Regelung trotzdem beschlossen. Für einen einer solchen Reform angemessenen Begutachtungsprozess war letztlich nicht mehr genügend Zeit, weil die politische Koordinierung Monate in Anspruch genommen hat.
Die langwierigen Verhandlungen auf politischer Ebene hatten zur Folge, dass das Reformpaket erst am 12. Dezember 2024 im Nationalrat beschlossen wurde. Für Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte blieb damit keine Zeit, sich angemessen auf die neuen Regelungen vorzubereiten und etwa die notwendigen Umstellungen vorzunehmen, die erforderliche Technik anzuschaffen und das Personal zu schulen.
So bleiben viele Fragen offen, nämlich etwa wie die Staatsanwaltschaften und Gerichte eine gesetzeskonforme Speicherung des Ergebnisses der Datenaufbereitung bewerkstelligen sollen, zumal eine Speicherung im digitalen Akt untersagt ist und einer Speicherung auf öffentlich zugänglichen Laufwerken der Datenschutz entgegensteht. Oder aber: Wie und auf welchen Geräten Beschuldigten und Opfern Einsicht in das Ergebnis der Datenaufbereitung gewährt werden soll, wo doch weder geeignete Geräte, noch Personal, das die Einsichtnahme überwacht, zur Verfügung stehen. Darüber hinaus ist zum Beispiel nicht nachvollziehbar, weshalb die Staatsanwaltschaft die Entscheidung des bzw. der Rechtsschutzbeauftragten, die erforderliche Ermächtigung für die Beschlagnahme von Datenträger und Daten von Berufsgeheimnisträgern nicht zu erteilen, nicht bekämpfen kann. Denn während die Entscheidung des unabhängigen Gerichtes, eine Bewilligung der Anordnung der Beschlagnahme von Datenträgern und Daten nicht zu erteilen, einer Überprüfung durch das Oberlandesgericht unterzogen werden kann, fehlt eine entsprechende Rechtsmittelmöglichkeit gegen Entscheidungen des bzw. der Rechtsschutzbeauftragten.
Dem Gesetzgeber war es bei der Reform ein großes Anliegen, den Anforderungen des Datenschutzes zu entsprechen, größtmögliche Transparenz in Bezug auf die Vorgänge der Datenaufbereitung und -auswertung zu garantieren und Opfer-, insbesondere aber Beschuldigtenrechte zu stärken. Auch die Beschleunigung von Verfahren war offenbar ein Bestreben, denn das Wort (Verfahrens)Beschleunigung wird im Initiativantrag zum Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024 in Summe fünfzehn Mal angeführt.
Bleibt die Frage, was die Reform für die Strafverfolgungsbehörden gebracht hat. Bestimmungen, die die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden wesentlich vereinfachen oder beschleunigen würden, sucht man nämlich ebenso vergeblich, wie neue, zeitgemäße Ermittlungsmaßnahmen. Für die Strafverfolgungsbehörden bedeutet die Reform einen massiven zusätzlichen Mehraufwand. Das neu geschaffene Regime der Datenaufbereitung, das die Erstellung mehrerer Kopien des Gesamtdatenbestandes samt detaillierter Dokumentation der Arbeitsschritte erfordert, hat zur Folge, dass die Aufbereitung und Auswertung von Datenträgern durch die Kriminalpolizei, Sachverständige sowie IT-Experten und -Expertinnen viel mehr anstatt weniger Zeit in Anspruch nimmt. Komplexe und kleinteilige Regelungen sowie Antrags-, Löschungs- und Mitwirkungsrechte der Verfahrensbeteiligten erschweren die Arbeit der Staatsanwaltschaft ebenso, wie die zahlreichen Verständigungs- und Informationspflichten, ein massiv erhöhter Begründungsaufwand in puncto Datenbeschlagnahme sowie Nichtigkeitssanktionen und Verwertungsverbote. Dass dieser Mehraufwand seit mittlerweile vier Monaten ohne zusätzliches Personal gestemmt wird und massive Rückstände bislang vermieden werden konnten, ist ausschließlich der Einsatzbereitschaft und Dienstbeflissenheit der Kolleginnen und Kollegen zu verdanken. Ein Mehr an Aufgaben, dem die Staatsanwaltschaften zu entsprechen haben, hat zur Folge, dass weniger Zeit für die eigentliche Kernaufgabe – das Ermitteln – bleibt. Das wiederum wirkt sich unmittelbar auf die Dauer von Verfahren aus.
Apropos Verfahrensdauer: Gerade in letzter Zeit wurde die Dauer von Verfahren diskutiert und die Justiz dafür vielfach auch kritisiert. Bezogen war das (vorläufig?) auf besonders umfangreiche Verfahren. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die österreichische Strafjustiz im internationalen Vergleich sehr schnell arbeitet. Wenn das auch in Zukunft so bleiben soll und es der Politik und dem Gesetzgeber ernst damit ist, Verfahren zu beschleunigen, muss jetzt dafür Sorge getragen werden, dass die Justiz mit den dafür erforderlichen Ressourcen ausgestattet wird.
Insgesamt fehlen allein für das Jahr 2025 auf allen staatsanwaltschaftlichen Ebenen rund 45 Planstellen, davon alleine rund 30 Planstellen für die Beschlagnahme von Daten und Datenträgern. Damit die rasche Erledigung von Verfahren gewährleistet werden kann, braucht es aber auch eine entsprechende Anzahl an Bezirksanwältinnen und Bezirksanwälten und Mitarbeiter:innen im Backoffice-Bereich.
Neben Reaktionen im Personaleinsatz bedarf es auch der Ausstattung mit dem erforderlichen technischen Equipment, um große Datenmengen dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz gemäß sicher übermitteln und speichern zu können und den gesetzlich vorgesehenen Einsichtsrechten und Anträgen auf Löschung entsprechen zu können. Daneben ist die Justiz in vielen Fällen auf die Expertise von IT-Expert:innen, Wirtschaftsexpert:innen sowie von Sachverständigen angewiesen. Insbesondere gegen den seit Jahren bestehenden Mangel an Sachverständigen in den Bereichen Buchführung, Kinder- und Jugendpsychiatrie, forensische Psychiatrie, Unfallanalyse und Gerichtsmedizin wurden bislang keine geeigneten Maßnahmen ergriffen.
Das Budgetdefizit lässt freilich befürchten, dass weder die Personalaufstockung noch die Ressourcenausstattung zeitnah im erforderlichen Ausmaß erfolgen können und letztlich die Mitarbeiter:innen der Staatsanwaltschaften die Leidtragenden der Versäumnisse der Politik sein werden. Denn von ihnen wird man erwarten, dass sie trotz steigender Anfallszahlen und zusätzlicher Aufgaben die Verfahren weiterhin gewohnt rasch bearbeiten und erledigen – und das bei gleichbleibender Qualität.
Gerade deshalb sollte sich die Politik rasch und eingehend mit der Frage befassen, welche Aufgaben für eine effektive Strafverfolgung von zentraler Bedeutung sind, wie der Verfahrensaufwand für die Staatsanwaltschaften reduziert werden kann, wie Abläufe vereinfacht oder sogar ausgelagert werden können und in welchen Bereichen einheitliche Vorgaben (z.B. Datenschutz) oder der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (z.B. Akteneinsichtsersuchen in umfangreichen Verfahren, Anonymisierung und Verwaltung von Mustern und Vorlagen, Übersetzungen) das Arbeiten erleichtern können.
In Bezug auf das Strafprozessrechtsänderungsgesetz bleibt nur mehr zu hoffen, dass die Probleme und Anregungen der Praxis zumindest im Nachgang ernst genommen werden und von Seiten der Politik die Bereitschaft besteht, das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024 zu evaluieren und die nötigen Korrekturen vorzunehmen. Und es bleibt zu hoffen, dass der Wert der Expertise der Praktiker:innen von der Politik erkannt wurde, eine Einbindung bei Gesetzes- und Reformvorhaben künftig früher stattfindet und die von Praktiker:innen aufgezeigten Probleme und Kritikpunkte berücksichtigt werden.
Die geplante Schaffung einer unabhängigen staatsanwaltschaftlichen Weisungsspitze wird dafür ein erster wichtiger Gradmesser sein.
Elena Haslinger