Welche Grundsätze haben Richter:innen in einem Gerichtsverfahren zu beachten? Wie ist ein Verfahren zu führen und welche Rechte haben Parteien? Kann ich mir meine Richter:innen aussuchen? Kann jedermann gerichtliche Verhandlungen besuchen?

Grundsätze des Straf- und Zivilverfahrens

Die Gerichtsbarkeit stellt neben der Gesetzgebung und der Verwaltung die dritte Säule des staatsrechtlichen Modells der Gewaltentrennung dar. Sie ist jener Bereich der Vollziehung, der von Gerichten wahrgenommen wird. In der Bundesverfassung ist festgehalten, dass die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt ist. Urteile sind „Im Namen der Republik“ zu verkünden. Bevor Richter:innen mit Urteil entscheiden, erheben sie den Sachverhalt und stellen fest, was tatsächlich geschehen ist. In der Rechtsordnung ist geregelt, wie Richter:innen bei diesen Erhebungen vorgehen müssen. Diese Vorgangsweise nennt man auch gerichtliches Verfahren. Natürlich gilt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Vollziehung auch für den Bereich der Gerichtsbarkeit. Gerichte sind an gehörig kundgemachte Gesetze, Verordnungen und Staatsverträge gebunden. Die Gerichte können jedoch beim Verfassungsgerichtshof die Überprüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit beantragen, wenn sie aus diesem Grund Bedenken gegen die Anwendung eines Gesetzes haben.

In jedem Straf- oder Zivilverfahren gelten einige Grundsätze, die hier näher vorgestellt werden. Teilweise sind diese Grundsätze in der Verfassung geregelt, teilweise in den Prozessordnungen.

Die ordentliche Gerichtsbarkeit geht vom Bund aus, es gibt daher nur Bundesgerichte (auch die „Landesgerichte“ trotz ihres Namens). Die ordentliche Gerichtsbarkeit ist in organisatorischer und funktioneller Hinsicht ausschließlich Sache des Bundes; die Länder können daher keine eigenen ordentlichen Gerichte schaffen, es kommt ihnen aber ein gewisses Mitspracherecht in organisatorischen Belangen (z.B. Änderung von Sprengelgrenzen der Bezirksgerichte) zu.

Unabhängigkeit von Richter:innen

Die wichtigste Grundlage für eine unabhängige Justiz ist der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter:innen in der Ausübung ihres Amtes. Im Gegensatz zu Verwaltungsbeamt:innen sind Richter:innen weisungsfrei. Richter:innen können nur in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen aufgrund eines förmlichen richterlichen Erkenntnisses im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ihres Amtes enthoben, gegen ihren Willen an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die richterlichen Garantien der Unabhängigkeit, Unversetzbarkeit und Unabsetzbarkeit dienen dem Schutz der Gerichtsbarkeit als dritter Staatsgewalt vor Einflüssen von außen – insbesondere von Seiten der Verwaltung. Damit wird den Bürger:innen ein faires Verfahren garantiert.

Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung

Die Geschäfte müssen unter den Richtern eines Gerichtes im Vorhinein verteilt werden. Bereits im Voraus wird für einen bestimmten Zeitraum festgelegt, welche Agenden welche Richter:innen eines Gerichtes zu erledigen haben. Dies geschieht in Form einer Geschäftsverteilung, in der bestimmte Akten bestimmten Richter:innen zugeteilt werden (meist nach Buchstaben des Namens der Prozessparteien geordnet oder nach einem prozentuellen Aufteilungsschlüssel zwischen Richter:innen nach dem Zufallsprinzip). Parteien können sich daher ihre:ihren Richter:in nicht aussuchen. Damit soll verhindert werden, dass durch die Auswahl einer:eines bestimmten Richter:in für eine bestimmte Sache auf die Entscheidung Einfluss genommen wird. Dieser Grundsatz hängt daher eng mit dem Recht auf die:den gesetzlichen Richter:in und der Unabhängigkeit der Richter:innen zusammen.

Der Grundsatz der Mündlichkeit

Das erkennende Gericht fällt nicht nur aufgrund der schriftlichen Aktenlage das Urteil. Vielmehr muss in den meisten Fällen zuvor eine mündliche Verhandlung stattfinden, in der alle Umständen erhoben werden, die zur Feststellungen des Sachverhalts dienen. In dieser Verhandlung werden die Parteien und Zeug:innen vernommen, Urkunden verlesen und Sachverständige gehört. Auch die Parteien oder ihre Rechtsanwält:innen dürfen in diesen Verhandlungen Fragen an die vernommenen Personen richten. Der Zweck dieser Regelung ist, dass Richter:innen sich einen persönlichen Eindruck von den Parteien des Prozesses machen können und sich die Parteien zu den einzelnen Beweisergebnissen äußern können. Die Verlesungen von Aussagen zB aus dem Vorverfahren oder der Polizei sind nur eingeschränkt möglich. Der Grundsatz der Mündlichkeit hat daher auch den Zweck, ein faires Verfahren zu gewährleisten. Ausnahmen vom Mündlichkeitsprinzip können durch das Gesetz bestimmt werden.

Der Grundsatz der Öffentlichkeit


In früherer Zeit kannte man die sogenannte Kabinettsjustiz, in der das geheime Verfahren möglich war. Dass den Parteien damit weitgehend die Möglichkeit entzogen war, die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu überprüfen versteht sich von selbst. Ein öffentlich zu führendes Verfahren sichert die Parteien vor der Willkür des Entscheidungsträgers ab. Nach der Bundesverfassung sind Verhandlungen in Zivil- und Strafsachen öffentlich. Jedermann kann daher einer Gerichtsverhandlung beiwohnen (Volksöffentlichkeit). Das Gesetz kann hiervon Ausnahmen bestimmen (zB zum Schutz von Kindern, Erörterung von Tatsachen des Familienlebens). Jedoch darf die Öffentlichkeit nur aus wichtigen Gründen von der Verhandlung ausschließen.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs

Eine der wichtigsten Leitlinien eines gerichtlichen Verfahrens ist es, den Prozessparteien die Gelegenheit zu bieten, ihren Standpunkt im Prozess darzulegen. Es wird also gewährleistet, dass sie angehört werden. Die Verfahrensordnungen stellen daher strenge Regeln auf, damit dieses Recht auf Anhörung gesichert ist. Dabei kann aber keine Prozesspartei (im Gegensatz zu Zeug:innen) zu einer Äußerung gezwungen werden.

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung

Es gibt keine bestimmten Regeln, wie Richter:innen einen Beweis zu würdigen haben. Es ist nicht festgelegt, dass Richter:innen Parteien Glauben schenken müssen, sobald ein:eine Zeug:in diese Aussage bestätigt hat. Vielmehr haben Richter:innen alle Beweisergebnisse einer sorgfältigen Würdigung und Abwägung (siehe Waage der Justitia) zu unterziehen. 

Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass Urkunden oder Spurenauswertungen mehr Beweiskraft für Richter:innen haben als 50 Zeug:innen. Im Urteil müssen Richter:innen gründlich begründen, warum sie bestimmte Tatsachen als bewiesen ansehen und warum nicht. Damit soll sichergestellt werden, dass es den Parteien und der 2. Instanz auch möglich ist, diese Überlegungen nachzuvollziehen.

Mitwirkung des Volkes

Die Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung wurde als Grundprinzip geschaffen und ist in Form der Schöffen- und Geschworenen, sowie als fachkundige Laienrichter:innen in Arbeits- und Sozialrechtssachen und fachmännische Laienrichter:innen in manchen Handelssachen verwirklicht.

Besonderheiten im Strafverfahren: 

Der Grundsatz des Anklageprozesses

Die Funktion der Richter:innen muss von der Funktion der Ankläger:innen getrennt sein. Im Strafverfahren vertritt der:die Staatsanwält:in die Anklage. Mit diesem Grundsatz wird sichergestellt, dass der:die Richter:in in der Strafsache beide Seiten, also Anklage und Verteidigung hört, und auf diese Weise objektiv entscheiden kann.  Jedes Strafverfahren wird durch Anträge einer:eines Ankläger:in veranlasst und beschränkt. Ankläger:innen sind die:der öffentliche Ankläger:in (Staatsanwält:in), die:der Subsidiarankläger:in oder die:der Privatankläger:in. 

Der Legalitätsgrundsatz

Staatsanwält:innen sind zur Verfolgung von Delikten (mit Ausnahmen) verpflichtet, die ihnen im Rahmen ihrer amtlichen Stellung bekannt werden. 

Der Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung

Das Gericht muss von sich aus alles unternehmen, um den Sachverhalt aufzuklären und darf sich nicht auf die Erledigung von Anträgen der Staatsanwaltschaft und Verteidiger:innen beschränken. Im Gegensatz zum Zivilverfahren haben Richter:innen daher von Amts wegen Beweise aufzunehmen, wenn dadurch das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Straftat bewiesen werden kann.

Der Grundsatz der Unschuldsvermutung

Der:die Angeklagte:r gilt so lange als unschuldig, bis seine:ihre Schuld bewiesen ist. Verbleiben Zweifel, weil einzelne Argumente dafür, andere aber dagegen sprechen, ist er:sie im Zweifel freizusprechen: In dubio pro reo – im Zweifel für den:die Angeklagte:n.

Verbot der Todesstrafe

In Österreich besteht das absolute Verbot der Todesstrafe und das Verbot einer eigenen Militärgerichtsbarkeit (außer in Kriegszeiten).